Pendeln tut weh!

 

Tragen wir Sorge zu unseren schönen Dörfern mit ihrer Infrastruktur, sie sind ein Garant für eine hohe Lebensqualität und Arbeitsplätze vor Ort…. Stoppt die unsinnige Zentralisierung mit dem enormen Energieverschleiss! 25% der Gesamtenergie und 58% des Erdöls gehen zu Lasten des Verkehrs. Das raubt uns kleinen Leuten die ganze Substanz weg nur für den Arbeitsweg und die individuelle Freiheit und Mobilität bleibt auf der Strecke!

Von Norbert Raabe. Aktualisiert am 03.06.2011


Das Scheidungsrisiko steigt laut einer Studie durch regelmässiges Pendeln – um bis zu 40 Prozent. Ein Experte erklärt, was die moderne Mobilität in Europa und der Schweiz anrichten kann.


Die aufwendige Studie aus Schweden, deren Resultate kürzlich publiziert wurden, lässt die vielfach gelobte Mobilität unserer Zeit in einem schlechten Licht erscheinen – jedenfalls in menschlicher Hinsicht. Aus der Analyse von Daten über mehr als zwei Millionen Schweden und den Zeitraum von 1995 bis 2005 zieht Erika Sandow von der Umeå University den Schluss, dass Pendeln dem Glück nicht zuträglich ist.
Aus Sandows Analysen geht hervor, dass das Scheidungsrisiko bei Menschen, die für ihren Beruf regelmässig lange Strecken zurücklegen, um 40 Prozent höher liegt – vor allem also bei jenen 11 Prozent der schwedischen Bevölkerung, die mindestens 45 Minuten brauchen, um zur Arbeit zu fahren.

 

Die Kinder kommen häufig später zur Welt


«Das ist durchaus vorstellbar», sagt Detlev Lück vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Mainz, der an einer gross angelegten Studie zu den Folgen der Mobilität mitgewirkt hat. Vo n Forscherteams in Polen, Belgien, Frankreich, Spanien, Deutschland und der Schweiz wurden im Sommer 2007 mehr als 7200 Menschen – repräsentativ für die Altersklasse von 25 bis 54 Jahren – in Telefoninterviews mit mehreren Hundert Fragen konfrontiert.
Heraus kam dabei ein Abbild der Beziehungsqualität von Menschen, die ständig unterwegs sind. «Mobile haben tendenziell später Kinder», sagt Lück, «und wenn ein Partner plötzlich einen langen Arbeitsweg hat, wird der andere durch die Hausarbeit und Betreuung von Kindern stärker belastet.»


Männer übernehmen weniger Aufgaben


Laut den Erkenntnissen aus der europaweiten Studie sind Männer laut Lück etwas häufiger mobil als Frauen. Zudem fiel auf, dass die Partnerin, wenn der Mann einen Job in grosser Entfernung annimmt, die gesamte Heimarbeit übernimmt – zur Not auch um den Preis der eigenen Karriere. Männer hingegen übernehmen zwar auch solche Aufgaben, falls die Frau zur Pendleri n wird – «aber eben nicht alles», sagt Lück, «die Verschiebung ist sozusagen asymmetrisch».
«Durch das Pendeln können die Geschlechterrollen traditionalisiert werden», lautet Lücks Fazit. Zu diesem Schluss kommt auch die schwedische Soziologin Sandow. Laut den Analysen zu ihrem Heimatland profitieren Männer vom Pendeln stärker als Frauen – mit Folgen. Als «finanzschwächerer» Teil des Teams übernehmen die Partnerinnen häufig weniger hoch qualifizierte Stellen, arbeiten in Teilzeit und kümmern sich stärker um den Nachwuchs.


Beweglichkeit als Gefahr für die Beziehung


Ein unfreiwilliger Rollenwechsel. Und eine Gefahr für die Beziehung, wenn die Partner es nicht schaffen, sich mit der neuen Situation zu arrangieren. Laut der schwedischen Studie ist das Scheidungsrisiko im zweiten oder dritten Jahr nach der Veränderung etwas geringer als zuvor. Lück führt das auf zwei Effekte zurück. Zum einen ist die statistische Gesamtzahl der Scheidungs-«Kandidaten» nach dem ersten Jahr schon geringer – und zweitens dürfte auch die Anpassung an die neuen Lebensumstände die Zahl der Trennungen erhöhen. «Das ist jedenfalls meine Schlussfolgerung aus der Studie», sagt der Soziologe.


Weniger «mobile» Menschen in der Schweiz


Neben solchen Einsichten hat die europaweite Studie seinerzeit auch Unterschiede bei der Mobilität zutage gefördert. Als «mobil» stuften die Soziologen eine befragte Person unter anderem dann ein, wenn sie mindestens 60 Minuten für einen Arbeitsweg benötigte oder pro Jahr 60 Nächte ausser Haus verbrachte oder eine Fernbeziehung führte, die zwei getrennte Haushalte nötig machte.
Gemessen an diesen Kriterien ist der Anteil «mobiler» Menschen in der Schweiz mit 13 Prozent deutlich geringer als etwa in Deutschland (19 %) – eine Tatsache, die schon aufgrund der grösseren Entfernungen zwischen möglichen Arbeitsstellen einleuchtet. Allerdings fand en die Forscher auch in Belgien, das wegen seiner Grösse und zwei Sprachregionen mit der Schweiz eher vergleichbar ist, überdurchschnittlich viele mobile Menschen.
Das führt Lück auf die Tatsache zurück, dass es dort viele strukturschwache Regionen gebe. Andersherum formuliert: In der Schweiz war der Arbeitsmarkt zum Zeitpunkt der Studie «ausgewogener», so der Soziologe, «es war wohl etwas leichter, in der Nähe einen geeigneten Job zu finden».


Widersinnige Anforderungen an die Bevölkerung


Was eint alle untersuchten Nationen – von Polen über Deutschland und die Schweiz bis Schweden? «Heimatverbundenheit», sagt Lück, «die Leute wollen nicht aus ihrem sozialen Umfeld wegziehen.» In dieser Hinsicht sind die meisten Menschen offenbar immobil – laut dem Soziologen mit der «paradoxen Folge, dass sie dann die ganze Zeit auf der Autobahn lassen».
Trotz der sozialen «Kosten» rechnet der Wissenschaftler für die Zukunft nicht d amit, dass weniger gependelt wird: «Ich glaube, die Mobilität wird auf dem heutigen Niveau bleiben. Oder sogar noch wachsen.» Was könnte man tun, um mit den Folgen zurechtzukommen? Lück verweist auf die Politik: Man wolle mehr Kinder; man wolle bessere Gleichstellung von Männern und Frauen; man wolle mehr Mobilität – doch das, findet der Forscher, «sind drei Ziele, die nur schwer miteinander vereinbar sind».